Das gewisse Etwas: Maßkonfektion, individuell und kreativ


 


Vor gut vier Jahren lernte ich einen jungen, sehr sympathischen Typen kennen. Nicht nur seine Weltanschauung, sein Glaube und seine Persönlichkeit waren faszinierend, sondern auch die Tatsache, dass er Maßanzüge und -hemden trug. Für mich war damals das Thema Maßkonfektion nur etwas für ältere, gut situierte Herren und Banker. Dass er seinen Anzug komplett selber zusammengestellt hatte, dass sein eigener Namen im Innenfutter eingestickt war und seine Hemdärmel seine Initialen trugen, fand ich irgendwie cool und fing Feuer für die Idee, meine eigenen Blazer und Blusen zu designen. 

Mit Freunden waren wir vor geraumer Zeit bei einem Maßschneider und ich habe wieder einmal gemerkt, dass man wirklich vorbereitet zu einem Treffen erscheinen sollte. Denn man hat nicht nur eine riesige Auswahl an Stoffen und Mustern, die in unzähligen Musterbüchern präsentiert werden, sondern man kann neben diversen Schnitten auch Details wie Kragenform, Innenfutter, Knöpfe oder sogar Garnfarbe frei bestimmen. 
 




Hier habe ich deshalb eine kleine Checkliste am Beispiel eines Herrenanzuges vorbereitet, damit du mal siehst, was dich bei einem Termin so erwarten wird. Bei einem Anzug sind folgende Punkte zu beachten:




  • Der Stoff: Die Auswahl an Stoffen und Mustern wird bei jedem Maßschneider immens groß sein, deshalb solltest du dich dort unbedingt gut beraten lassen. Überlege dir vorher wofür der Anzug sein soll, z.B. ob es ein Sommer- oder Wintersakko sein soll, wie stark der Anzug strapaziert wird oder wie hoch der Knitterschutz für deinen Gebrauch sein sollte.

    Als Oberstoffart wird meist Gewebe aus Schurwolle verwendet aber auch Baumwolle, Leinen, Seide oder Polyester fließen mit ein. Neben dem Oberstoff wirst du auch den Stoff für das Innenfutter wählen müssen, wobei es synthetische Futterstoffe wie z.B. Polyester oder auch zellulosische Chemiefasern wie Viskose gibt. Die Trageeigenschaften von chemisch verarbeiteten Naturfasern sind oft angenehmer und weniger schweißtreibend als bei den reinen Chemiefasern. Was einen oft ins Schwitzen bringt, sind nämlich nicht die Oberstoffe, sondern die verwendeten Futterstoffe! Darauf also bei der Wahl des Innenfutters achten und bei Fragen den Verkäufer oder Schneider befragen.

    Bei der Farbe des Inlays kannst du deiner Individualität mit z.B. typischem Paisley Muster oder knalligen Farben vollen Ausdruck verleihen. Das Muster bzw. die Farbe des ganzen Anzuges solltest du genau auf deine Verwendungszweck anpassen und beim ersten Anzug nach Möglichkeiten so wählen, dass du den Anzug auch für andere Anlässe verwenden kannst.

  • Im Zusammenhang mit Stoffen begegnet man oft dem Ausdruck Super 100, Super 180 etc. Die Feinheit des versponnenen Garns von Schurwollgeweben wird mit „Super-Werten“ angegeben. Das bedeutet bei Super100 wiegen 100 Meter des Garns ein Gramm, bei S120 wiegen 120 Meter des Garns ein Gramm. Je höher also die Zahl, desto feiner ist das Garn. Super 210 wird für sehr feine und sehr teure Stoffe verarbeitet. Aufgrund einer fehlenden Norm kommt es auch vor, dass sich ein Super 100 eventuell "besser" oder weicher anfühlt als ein Super 120, denn neben der Garnfeinheit ist auch das Gewicht der Wolle für das Berührungsempfinden von Bedeutung. Webt ein Hersteller z.B. einen Sommeranzug, so hat dieser zumeist nicht mehr als 230 Gramm / pro m² Stoff. Ein Winteranzug kann bis zu 290 Gramm haben. Ein Anzug in hoher Qualität als Ganzjahresanzug wiegt zumeist 260 - 270 Gramm/ m².
  • Das Jackett: Es wird als Einreiher mit einem bis vier Knöpfen oder einem Zweireiher mit zwei bis drei Knöpfen unterschieden. Bei einem Einreiher mit zwei Knöpfen lässt man den unteren Knopf auf, bei einem Jackett mit drei Knöpfen macht man wahlweise den mittleren Knopf oder die beiden oberen Knöpfe zu.
  • Das Revers: Das Revers ist die nach außen geschlagene obere Vorderkante eines Sakkos, Mantels oder Blazers. Hierbei unterscheidet man ein fallendes Fasson, steigendes oder ein Schalkragen Revers (Schalfasson). Einreiher haben meist ein fallendes und Zweireiher meist ein steigendes Revers. Ein Smoking zeichnet sich durch einen Schalkragen aus. 


  • Die Tasche(n): Entscheide dich, ob du gerade Seitentaschen mit Klappe (Pattentasche), nur geschlitzt (sogenannte Paspeltaschen) oder Leistentaschen, dessen Eingriff durch einen zusätzlich aufgenähten, doppelt gelegten Stoffstreifen (Leiste) verstärkt wird, haben möchtest. Die Taschen können auch  als aufgesetzte Tasche aufgenäht werden, was einem Anzug eine besondere Note verleiht. Zusätzlich kannst du über einer Seitentasche auch noch eine sogenannte Billetttasche zur Verzierung anbringen lassen. Du solltest dir auch überlegen, ob du eine Brusttasche für ein Einstecktuch vorsehen möchtest, was sehr edel aber auch sportlich getragen werden kann.
  • Die Ärmelknöpfe: Hierbei unterscheidet man zwischen nebeneinander aufgereihten oder übereinanderlappenden Knöpfen. Es gibt auch einzeln durchknöpfbaren Armknöpfen, die sehr typisch bei Maßanzügen sind und den Unterschied zu Stangenware deutlich werden lassen. Meist sind es drei bis vier Knöpfe.

  • Der Rücken: Die klassische Variante hat keinen Rückenschlitz; ein Mittelschlitz (amerikanische Variante) bietet ein modisches Detail, das nebenbei noch mehr Bewegungsfreiheit bietet. Eher in der Businesswelt zu sehen ist der Doppelschlitz, bei dem der Rücken an beiden Seiten geschlitzt ist (englische Variante).
  • Die Hose: Ist meistens aus demselben Stoff gefertigt wie das Jackett. Man unterscheidet zwischen Bundfaltenhose und Hose mit flacher Front, dessen Passform enger ist. Die Bundfalten geben mehr Spiel und Bewegungsfreiheit.
  • Das Hemd: Der Stoff, das Muster und vor allem der Hemdkragen können äußerst vielseitig gestaltet werden und damit dem Anzug eine ganz besondere Note verleihen. Bei Kragen unterscheidet man z.B. zwischen einem Haifischkragen, Stehkragen oder dem klassischen Kentkragen.

    Einen Hingucker kann man durch einen anderen, bunten Stoff im Innenteil des Kragens erzeugen und die Knopfleiste kann offen oder verdeckt designt werden. Auch bei der Knopfleiste kann man den Innenstoff oder die Garnfarbe der Knopflöcher anders wählen und damit dem Hemd ein individuelles Design geben. Die Ärmel können mit normalen Knöpfen oder Manschetten (einfache oder umschlagbare Manschette) versehen werden. 






    Auch die Breite des Ärmelbundes wird individuell festgelegt und kann als Highlight noch mit den eigenen Initialen, einer Monogrammstickung, versehen werden. Auch die Taschen müssen von dir bei der Hemdgestaltung festgelegt werden. 

    Mit Accessoires wie Westen, Krawatten, Einstecktüchern oder Manschettenknöpfen kann man spielen und seinen Maßanzug zum jeweiligen Anlass aufwerten. Je nach Schuhen und Gürtel gibst du dem gesamten Arrangement noch eine edlere oder sportlichere Note. 



    Nun viel Spaß beim Selberdesignen und wenn du deine eigenen Erfahrungen oder weitere Tipps zu Maßanzügen und -konfektion mit meinen Lesern teilen möchtest, freue ich mich über dein Kommentar.

    Ach und eine Möglichkeit, wie du dich langsam an die komplette Maßkonfektion herantasten kannst, ist die Anpassung vorkonfektionierter Kleidung.



    * Zitat: Jella Wojacek


     Bilder: Ermenegildo Zegna, Kiton, Michael Keller, Accessoires: Tücher Zegna, Etro, Manschettenknöpfe Louis Vuitton, Swarovski, Montblanc



    Kommentare

    Christoph Schroeder hat gesagt…
    Hallo "On Air",
    Danke für diesen interessanten und wirklich coolen Beitrag mit den tollen Fotos und Tips.

    Tja - ich kann das nur bestätigen, denn vor kurzem habe ich mir meinen ersten Massanzug gegönnt und darf sagen, es ist einerseits ein grosser Unterschied zu normaler Konfektion aber andererseits einfach mein Anzug, der mir jedes Mal Spass macht. Übrigens - weit gefehlt, wenn man meinte zu glauben, dass Massanzüge nicht bequem sind. Ich jedenfalls bin voll auf den Geschmack gekommen, wobei schon das nächste Massteil angepeilt wird. Das Verhältnis der Mehr-Investition ggü. dem Tragekomfort und Individualität ist absolut gerechtfertigt.

    Herzlichst,
    CHRIS

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